Pressestimmen


 

Wo Worte nicht mehr zum Verstand vordringen können, etwa bei Patienten im Koma, kann die Sprache der Musik einen Weg in die "andere Welt" finden.

Nachts um halb drei verlor Erich Wischmann (Name von der Redaktion geändert) die Kontrolle über seine LKW. Auf der regennassen Autobahn geriet das schwere Fahrzeug ins Schleudern, raste in die Leitplanke und kippte. Notarzt und Sanitäter, die kurze Zeit später eintrafen, fanden den 48-jährigen bewusstlos mit schweren Kopfverletzungen. Im tiefen Koma wurde der Fernfahrer mit dem Rettungshubschrauber in das Unfallkrankenhaus Hamburg gebracht. Trotz intensiver Behandlung ändere sich lange Zeit nichts am Zustand des Patienten. Seine Welt schien von der der anderen Menschen weit entfernt. Das erste, was zu ihm vordrang waren Töne, war eine gesummte Melodie, die im Rhythmus seines Atems mitschwang - ein leiser Kontakt zu Leben.

 Komapatient
 

Später vernahm er auch andere Klänge - als würde jemand eine Harfe streichen. Er hatte das Gefühl, die seltsame Klänge würden ihn rufen, und er spürte ganz deutlich: Da war jemand bei ihm.

Die Frau, die in de Neurologischen Abteilung des Unfallkrankenhauses Hamburg als erste Kontakt zu Patienten im Koma aufnimmt, hießt Elena Nürnberg (38) und ist Musiktherapeutin. Mit Summen und Singen, Berührungen und Instrumenten begeleitet sie Koma-Patienten auf dem Weg zurück ins Leben. "Ich versuche den Patienten zu gewinnen, dass er wieder zurückfindet in diese Welt", beschreibt sie ihr Bemühen, sich in das Empfinden der Patienten einzuführen.

Dabei braucht die Musiktherapeutin größtes Einfühlungsvermögen. Auch wenn Menschen im Koma nicht einfach still daliegen, sondern die Augen öffnen und schließen, sich manchmal recht chaotisch im Bett bewegen, heißt das nicht, dass man sie direkt ansprechen kann. Elena Nürnberg beobachtet deshalb zunächst den Patienten, "um ihn überhaupt erst einmal kennenzulernen: wie er daliegt, ob er reagiert, vielleicht Blickkontakt aufnimmt."

Da sie nicht mit den Patienten sprechen kann, bedient sie sich der zweiten Sprache, die sie gelernt hat: Musik. Nicht Mozart oder Beethoven, sondern ganz einfache Melodien und Klänge, die in der Seele des Patienten etwas wecken, das sie vielleicht schon vergessen hatten: Lust zu Leben.

Versuche, bei denen man die Hirnströme und den Herzschlag von Koma-Patienten während der Musiktherapie gemessen hat, haben gezeigt, dass die Patienten tatsächlich auf diese leisen Rufe reagieren. "Ich hatte eine Patientin, die sich nach dem Koma an die Therapie erinnern konnte", berichtet Elena Nürnberg. Wo Worte nicht mehr zum Verstand vordringen können kann Musik den Weg zu einem wortlosen Gespräch bahnen. Hören ist unser feinster Sinn.

Ist der Kontakt hergestellt, setzt die Musiktherapeutin und gelernte Musikerin auch Instrumente ein. Am liebsten verwendet sie bei Koma-Patienten die harfenähnlichen Klängen der Leier, die speziell zur Heilbehandlung entwickelt wurde. Vom Vorgänger der Leier, von der Laute, berichtet das Alte Testament, dass ihre Musik schon König Saul von seiner Depression heilte.

 

Zunächst lässt sie nur ihre Hände sanft über die Saiten der Leier gleiten. Später wir der Patient zunehmend mehr einbezogen: Sie legt seine Hand auf den Körper des Instruments, damit er die Schwingungen direkt spüren kann. Oft reagieren die Patienten direkt, versuchen etwa erstmals, gezielt den Kopf zu wenden, die Augen zu öffnen oder die Hand des Therapeuten zu halten - für Elena Nürnberg immer eine große Freude. "Die Arbeit hier steht im totalen Gegensatz zu dem oft vermuteten Ansatz, dass Musiktherapie beruhigend wirken muss", erklärt sie. "Das hier ist genau das Gegenteil. Ich versuche, den Patienten ins Leben zurückzuholen! Das ist Aktivität, keine Entspannung."

Diese Arbeit ist sowohl für den Patienten als auch für die Therapeutin sehr anstrengend. Die kleinen Schritte zurück ins Leben sind aber für beide die schönste Belohnung - und der Moment, in dem der Patient selbst mit seiner Hand über die Saiten der Leier streicht, das größte Geschenk. Die Therapie ist noch lange nicht beendet. Aber Elena Nürnberg hat ein kleines Wunder bewirkt: Ein Mensch ist ins Leben zurückgekehrt.

 

Musiktherapie

Beim spielen eines Instrumentes soll die gelähmte Körperhälfte aktiviert werden.

Quelle: Neues Blatt  

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